June 2, 2010

Anatomie eines ZDF-Showtribunals pt 2


Das Korrektiv des Glaubens
pt 1) Der Raum für die Religion

@ 40 min)
W. Huber: "Es ist wahr, ich habe dieses College besucht. Keiner der Professoren für Geologie oder Biologie in diesem College, Wheaton College bei Chicago, lehrt den Kreationismus. Andere tun es, es ist ein schreckliches Missverständnis: Man macht die biblische Schöpfungslehre zu einer pseudowissenschaftlichen Ideologie. Man verkehrt sie wirklich in das Gegenteil. Aber man darf diese Verzerrung – unabhängig von Prozentzahlen – nun nicht zur authentischen Interpretation der biblischen Schöpfungserzählung machen. Das kann doch nicht angehen! Und man darf doch einen Atheismus nicht damit begründen wollen, dass man eine so schreckliche Verkehrung des biblischen Schöpfungsglaubens für normativ voraussetzt. Ich kann das intellektuell und wissenschaftlich nicht verstehen."

@ 43 min)
H. Jaschke: "Es gibt viele Formen von Glauben. Ein Nationalsozialist war kein religiöser Mensch im christlichen Sinne, aber er hat geglaubt, und er hat im Namen seines Glaubens schrecklichstes Unrecht getan. Kommunisten genauso. Es gibt den Glauben der Menschen, die nur auf Vernunft setzen. In Deutschland haben wir mit Habermas vor einiger Zeit diskutieren können, und er hat gesagt, die reine Vernunft ohne Glauben, ohne das Korrektiv des Glaubens, sie kann Irrwege einschlagen. Wir müssen also natürlich immer auch den wirklichen Glauben neu entdecken, und der Glaube muss gereinigt werden von Verirrungen. Wenn Glaube gewalttätig wird – welcher Glaube auch immer, ob ein Naziglaube oder ein kommunistischer Glaube – das ist unerträglich. Und wenn im Namen der Religion, im Namen Gottes, des Höchsten, des Reinsten, des Heiligsten, Schrecklichkeiten vertreten werden, wird jeder Verantwortliche das in aller Klarheit zurückweisen. Nur glauben Sie nicht, wenn Sie die Religion abschaffen, dann verschwinden die Schrecken auf der Welt. Dann kommt der Teufel hintenrum wieder rein. Wir haben die Beispiele zuhauf in der Geschichte."
J. Kerner: "Herr Geißler, hat Religion mehr Respekt verdient als z.B. die politische Überzeugung eines Menschen?"
H. Geißler: [...] "Ich glaube, dass eine Politik, die keine ethische Grundlage hat, die also nicht wertgebunden ist – man kann auch sagen: eine gottfreie Politik (die der Nationalsozialisten wie auch der Marxisten – das ist eine interessante Frage) – letztendlich eben in die Irre geht, weil die Politik zumindest zwei Grundlagen haben muss. Das ist zum einen die absolute Anerkennung der menschlichen Würde und zum andern die daraus resultierenden Menschenrechte. Dieses Menschenbild finden Sie im Evangelium, es kommt vom Evangelium. Jesus hat eben diese Grenzen gesprengt [...] eine ganz wichtige Neuerung gegenüber dem Altertum gebracht: die Unbedingtheit der Anerkennung der menschlichen Würde. Die universale Geltung der Menschenrechte – das ist der Kant'sche Gottesbeweis: Gott ist ein Postulat der praktischen Vernunft. Die universale Geltung der Menschenrechte können Sie eigentlich praktisch nur in Gott verankern, weil sonst jederzeit eine Philosophie, eine Ideologie, eine politische Partei, sogar eine Mehrheit im Parlament daherkommen kann, die die Menschenwürde und die Menschenrechte wieder außer Gefecht setzt. D.h., Sie müssen diese absolute Geltung der Menschenrechte, die müssen Sie sozusagen ableiten aus einer vorgegebenen Instanz."

@ 48 min)
J. Kerner: "Glauben Sie, Prof. Dawkins, dass die Welt eine bessere wäre, wenn es keine Religion gäbe?"
R. Dawkins: "Ja, das glaube ich. Aber diesen Punkt möchte ich hier nicht überbetonen. Was ich aber sagen möchte, ist, dass die universelle Anerkennung der Menschenrechte eben etwas Universelles ist – auch aus der Bibel könnte man dies herauslesen. Aber das ist eine heutige, moderne Vorstellung, die wir respektieren, ob wir religiös sind oder nicht. Z.B. kommt dies teilweise auch aus der amerikanischen Revolution, von den Gründervätern Amerikas, d.h. eine völlig säkulare Tradition."
W. Huber: "Das ist nicht richtig. Es ist historisch falsch, und auch ein Naturwissenschaftler muss gebeten werden können, historische Entwicklungen in ihrem komplexen Charakter zu würdigen. Man kann nicht bestreiten, dass für die Entwicklung des modernen Menschenrechtsverständnisses der christliche Glaube mitsamt der reformatorischen Wiederentdeckung der Gewissensfreiheit und der Würde der einzelnen Person eine Schlüsselbedeutung hat. Man darf nicht erst in der amerikanischen Aufklärung anfangen. Man darf insbesondere bei den Gründungsvätern der USA nicht nur die Glaubenskritiker nehmen und diejenigen, die aus Glauben diese Meinung vertreten haben, beiseite lassen. Und dann nur Jefferson für die ganze USA nehmen – das geht nicht."

@ 51 min)
W. Huber: "Das Buch Exodus ist der Bericht über die Befreiung Israels aus der Sklaverei in Ägypten. [...] Die zehn Gebote im Buch Exodus beginnen nicht etwa mit einer Aufforderung, schon gar nicht einer knechtenden, sondern mit der Zusage, ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägypten, aus dem Sklavenhaus befreit habe. Das ist der Grundton gerade dieses Buches. Wenn man das einfach zudeckt und dann durch herausgelesene Einzelzitate – und die Kritik von H. Geißler kann ich mir an wichtigen Stellen zueigen machen – sagt, was da über die Befreiungsgeschichte für das Volk Israel steht, ist irrelevant, und ich konzentriere mich auf die Konfliktgeschichte, wo Gott in einer Weise in Konflikte und auch in die Anwendung von Gewalt hineingezogen wird, die wir schlechterdings nicht akzeptieren können, dann verdreht man die Dinge. Nicht dass ich bestreiten würde, dass es zwischen dem Buch Levitikus und dem Buch Deuteronomium und dann erst recht im Buch der Richter oder im 1. Königsbuch mit dem Propheten Elia Dinge gibt, die wir in der Tat mit dem Gott, den wir im Angesicht Jesu Christi kennen lernen, nicht mehr gleichsetzen können, das ist richtig. Aber den Grundzug ... und das ist deswegen so verletzend, weil wir ja eine Geschichte der Judenfeindschaft in Europa haben, die ja auch gerade diese Befreiungsgeschichte für das Volk Israel gemeint hat leugnen zu können. Wir haben jetzt die Aufgabe, eine Theologie nach Auschwitz zu machen, und diesen Horizont muss jeder sehen, der heute über das Alte Testament redet. [...] Das ist Anti-Judaismus, was da in dieser Art, den Gott des Alten Testaments zu beschreiben, mitklingt. Das ist bestimmt nicht Ihre Intention ..."

R. Dawkins: "Ich habe gesagt, dass wir unsere moralischen Werte nicht aus der Bibel bekommen, denn wenn unsere moralischen Werte aus der Bibel kämen, dann würden wir diese schrecklichen Dinge aus den Büchern Levitikus und Deuteronomium machen. Natürlich machen wir das nicht mehr. Die modernen Theologen lehnen all dies ab – das weiß ich, aber ich habe gesagt, wir brauchen Kriterien um zu entscheiden, welche Teile der Bibel wir ablehnen und welche Teile wir akzeptieren. Und die Kriterien, die wir dazu verwenden, sind moderne Kriterien, heutige Kriterien, auf der Grundlage unserer heutigen Moral. Wir steinigen die Menschen nicht mehr, weil sie gegen den Sabbat verstoßen haben – natürlich nicht. Ich sage nur, dass wir unsere moralischen Werte nicht aus der Bibel bekommen. Wir wählen gewisse Teile der Bibel aus. An manche Teile glauben wir, an manche nicht. Und wenn man das macht, dann sollte man einfach die Entscheidung für sich selbst treffen und nicht unbedingt alles der Bibel entnehmen. Einfach die Bibel weglassen. Natürlich als Literaturwerk, als Geschichtswerk ja, aber die eigenen moralischen Werte sollten auf anderen Kriterien aufgebaut werden. Als moderne Menschen haben wir die alle."

H. Jaschke: "Das sind doch keine wissenschaftlichen Argumente. Unsere Moral – das ist meine feste Meinung – kommt von Gott. Ohne Gott ist alles erlaubt, hat Dostojewski einmal gesagt. Menschen können das in ihrem eigenen Herzen entdecken ... überall auf der Welt."
R. Dawkins: "Das ist – ehrlich gesagt – eine Beleidigung, dass alles verschwinden würde ohne Gott. Würde ich denn, wenn es jetzt keinen Gott gäbe, Menschen umbringen oder vergewaltigen? Wir alle haben die gleichen moralischen Werte, ob wir an Gott glauben oder nicht. Wir sind moderne Menschen, wir tun deswegen auch gute Dinge."
H. Jaschke: "Ich habe gerade versucht, von der Übereinstimmung in der Moral auf Gott hin zu fragen. Der letzte Grund sozusagen, dass Menschen im Guten bleiben und das Gute immer neu entdecken, ist Gott. Ohne Gott ist es sehr schwer, Menschenwürde und wirkliche moralische Werte fest zu begründen und festzuhalten. Menschen können Gott missbrauchen, können im Namen Gottes Schreckliches tun – das wissen wir alle, aber ohne Gott geraten Sie ganz auf Fehlwege."

@ 56 min)
H. Geißler: "Es gibt Atheisten, die sittlich genauso hoch stehen wie Christen oder gläubige Muslime, vielleicht sogar höher stehen – das will ich überhaupt nicht bestreiten. Das Problem ist, dass es nicht darum geht, dass einzelne Menschen diese moralische Qualität haben, sondern diese Menschenwürde, von der ich geredet habe, und die Verpflichtung zur Solidarität muss für alle gelten und muss immer gelten – das ist das Problem. Ich glaube, das ist der Unterschied: dieser Universalitätsanspruch, diese Unbedingtheit des Anspruchs der Achtung der Würde des Menschen ist eben doch durch das Christentum, durch das Evangelium – nicht durch das Alte Testament – in die Welt gekommen und gilt infolgedessen eben auch überall auf der Welt [...] Diese Werte wollen wir in der ganzen Welt realisieren. Nicht mit Gewalt - das ist der große Fehler des amerikanischen Präsidenten, dass er sich für den Irak-Krieg auf Gott beruft – das ist völlig indiskutabel und diskreditiert eigentlich das, was wir hier sagen."

@ 58 min)
J. Kerner: "Mr. Dawkins, Sie sind dem Vorwurf ausgesetzt, dass Sie versuchen, mit naturwissenschaftlichen Mitteln etwas zu beweisen, was mit diesen Methoden ganz offensichtlich nicht bewiesen werden kann. Warum ist Ihnen dieser Beweis bzw. der Gegenbeweis, also die Nichtexistenz Gottes, warum ist Ihnen das so wichtig? Könnten Sie nicht auch ganz gut leben ohne diese Erkenntnis?"
R. Dawkins: "Nun, wir sprachen gerade von moralischen Werten, und die haben natürlich mit Wissenschaft nichts zu tun. Sie kommen jetzt wieder auf die wissenschaftlichen Werte zurück. Ich halte die Frage, ob es irgendwo ganz unten im Universum einen Gott gibt, für eine der wichtigsten wissenschaftlichen Fragen überhaupt. Ein Universum mit einem Gott, ein Universum, das von einem Schöpfer geschaffen wurde, wäre, wissenschaftlich gesehen, ein ganz anderes Universum als ein Universum ohne Gott. Ich kann mir gar keine wichtigere wissenschaftliche Fragestellung vorstellen. Wie könnte sich ein Wissenschaftler nicht hierfür interessieren, für die Frage, gibt es in der Tat einen Gott? Eine faszinierende wissenschaftliche Frage – ganz klar. Und ich glaube, man kann diese These nicht bestreiten oder als falsch beweisen, aber ich glaube, dass es aufgrund der Beweise sehr unwahrscheinlich ist, dass es einen Gott gibt. Mann kann's nicht zu 100 % widerlegen, aber ich glaube, es ist sehr unwahrscheinlich."

J. Kerner: "Zum Schluss Bischof Jaschke: Man sagt so dahin, Glaube versetzt Berge – haben Sie das schon mal gespürt?"
H. Jaschke: "Wenn ich einem Menschen wirklich glaube, ihm Vertrauen schenke, dann kann er sich verwandeln, dann entdecke ich ihn ganz neu. Also im rein zwischenmenschlichen Leben. Glaube kann natürlich nichts Unvernünftiges machen. Ich kann nicht etwas glauben, von dem ich weiß, es ist total verkehrt. Aber Glaube ist eine Grundrealität des Menschen. Ohne Glaube wird der Mensch arm, und eine Welt ohne Gott ist für mich eine recht blinde Welt. Man kann natürlich sagen, ich will nicht an Gott glauben – Sie haben das Recht. Aber zu sagen, die Welt, wie sie ist und wie ich sie als Naturwissenschaftler wahrnehmen kann, zeigt, dass es keinen Gott geben kann – das ist eine Behauptung, die ich nicht stehen lassen kann. Die Welt mit Gott ergibt als ganze einen Sinn, und der Mensch mit Gott weiß, ich bin nicht ein Produkt des Zufalls, sondern eine Persönlichkeit, ein lieber, liebenswürdiger Mensch."

@ 61 min)
J. Kerner: "Prof. Dawkins, zum Schluss unserer Runde zwei Fragen. Erstens: Was, glauben Sie, passiert nach Ihrem Tod mit Ihnen?
R. Dawkins: "Nun, offensichtlich werde ich unter die Erde kommen und dort verfaulen.
Natürlich kann man sagen, mit Religion hat man Sinn, einen Zweck im Leben, man fühlt sich wohl ... und übrigens: Wir sind kein Produkt des Zufalls, wir sind ein Produkt der natürlichen Auslese – was ganz anderes! Und selbst wenn die nichtreligiöse Sicht auf die Welt nicht zufriedenstellend wäre, wenn sie leer und trostlos wäre, wäre dies nicht unbedingt falsch. Das Universum schuldet Ihnen keinen Trost oder keinen Komfort, kein Wohlergehen. [...] Selbst wenn wir ein Zufallsprodukt wären, und selbst wenn wir uns dann sehr klein und sehr traurig fühlen würden – es ist einfach so."

J. Kerner: "Sie haben gesagt, Sie werden, wenn Sie nicht mehr sind, unter der Erde sein und verrotten, wenn ich das richtig verstanden habe?"
R. Dawkins: "Absolut. Das hab ich gesagt."
J. Kerner: "Schöner Gedanke?"
R. Dawkins: "Natürlich ist das kein schöner Gedanke, dennoch ist es so. D.h. nicht, dass es nicht stimmt. Die Wahrheit ist nicht immer schön."
J. Kerner: "Wär's schöner den Glauben zu haben an etwas anderes? Vielleicht ist da ja noch was?"
R. Dawkins: "Natürlich wäre es schön, aber es wird deswegen nicht unbedingt wahr."
J. Kerner: "Für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass nach Ihrem Tod doch so was vor Ihnen steht wie der liebe Gott, und Sie beim Jüngsten Gericht sind, haben Sie einen Notfallplan?"
R. Dawkins: "Erstens ist dies vielleicht nicht unbedingt der Gott, den die Bischöfe hier vor sich sehen. Vielleicht wäre es Zeus oder Wotan oder was weiß ich, der mich da empfängt. Aber wenn Sie mich fragen, was ich sagen würde: Ich würde Bertrand Russell zitieren, der gesagt hat, nicht genug Beweise, Sir, nicht genug Beweise."
Jaschke/Kerner: "Und der liebe Gott würde möglicherweise lachen."

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